Ein zuverlässiger Algorithmus für die Prognose von Bundesratswahlen fehlt uns noch … Aber es scheint uns wahrscheinlich, dass morgen Karin Keller-Sutter und Viola Amherd gewählt werden. Was sind ihre Haltungen zur Digitalpolitik in der Schweiz?

Favoritin wurde schon einmal nicht in den Bundesrat gewählt

Erst eben erinnerte eine SRF-Radiosendung daran, dass die CVP-Bundesratskandidatin Rita Roos 1999 als “klare Favoritin” gegen Ruth Metzler verlor. Als Favoritin wird heute von den meisten Medien Karin Keller-Sutter genannt, wenn es um den freiwerdenden FDP-Sitz im Bundesrat geht. Die Situation dürfte nicht vergleichbar sein mit 1999 und auch nicht mit ihrer ersten Kandidatur 2010. Der Politologe Michael Hermann sagt, er habe bei der FDP “kein Problem, auf Karin Keller-Sutter zu wetten”. Überraschungen wären im Prinzip denkbar. Etwa dann, wenn viele in der Bundesversammlung denken, Keller-Sutter werde ja sowieso gewählt - und zufällig mehrheitlich den anderen FDP-Kandidaten Hans Wicki wählen. Bei der CVP gilt offenbar Viola Amherd als Favoritin, gefühlt weniger deutlich als Keller-Sutter bei der FDP.

Karin Keller-Sutter, FDP

Direkte Aussagen zur Digitalpolitik lassen sich mit dieser kleinen medialen Recherche wenige finden.

Die NZZ übertitelt einen Artikel mit Eine Freisinnige durch und durch. Das kann digitalpolitische Themen zwar mit meinen, lässt aber einigen Spielraum zu. Die FDP führt unter Positionen keinen eigenständigen Politikbereich Digitalpolitik auf, aber es lässt sich ein Papier Digitalpolitik von 2012 finden (PDF). Das sagt wenig aus über Keller-Sutters persönliche Sichten, ausser man verstehe eben den NZZ-Titel diesbezüglich ziemlich wörtlich.

Ein alter NZZ-Artikel (07.03.2013) handelt von der elektronischen Abstimmung im Ständerat. Damals soll Keller-Sutter nein gestimmt haben. Es wäre doch ziemlich weit her geholt, daraus eine Haltung zu Digitalthemen abzuleiten. Allerdings greift der Chefredaktor der Ostschweiz erst kürzlich unter dem Titel “Die Frage der Transparenz: Ein kleiner Makel einer perfekten Kandidatin?” diesen “Makel” von 2012 und 2017 eher wohlwollend wieder auf. Karin Keller-Sutter habe beide Male im Ständerat keine Offenlegung des Stimmverhaltens bei Abstimmungen im Rat gewollt. Aber eine Kritik an der Person von Karin Keller-Sutter lasse sich daraus “ohnehin schwerlich zimmern”. Zur Erinnerung: 2012 war durch Zufall ein Auszählfehler im Ständerat entdeckt worden.

Das St. Galler Tagblatt schreibt 2017, das Stöckli drücke “bei der Digitalisierung richtig aufs Gaspedal”. Keller-Sutter wird zitiert: «Möglichst viele Ratsmitglieder sollen dieses Angebot nutzen.» Gemeint ist der Versuchsbetrieb im Ständerat mit “iPad Pro samt individueller Einführung”. “Auf dem Tablet-Gerät lassen sich mittels eines Stifts die PDF-Dokumente für die Beratungen nicht nur lesen, sondern auch bearbeiten und markieren.” Das “papierlose Büro” solle “den Ratsbetrieb erleichtern”. Auch das dürfte kaum viel über Keller-Sutters Standpunkte zur Digitalpolitik verraten. Eventuell könnte man eine konservative Haltung herauslesen in Bezug auf die Transparenz in der Poltik. Das ist nicht gerade im Interesse der Medien, weshalb sie die Zurückhaltung bei der Ständerats-internen “Digitalisierung” und bei der Transparenz bei Abstimmungen vermutlich gerne aufgreifen.

Im Tagesgespräch von Radio SRF werden alle Kandidatinnen und Kandidaten befragt. Vielleicht wird auf die jeweiligen Interessen eingegangen. Im Gegensatz zu demjenigen mit Viola Amherd, sind beim Interview mit Karin Keller-Sutter weder Fragen noch Antworten zur Digitalpoltik zu hören.

Es scheint also wenig bekannt zu sein über die Positionen der Kandidatin zur Digitalpolitik. Oder wir haben nichts gefunden. Wer weiss mehr? Spätestens als Bundesrätin werden wir irgend wann mehr erfahren.

Viola Amherd, CVP

Das Tagesgespräch-Interview von Radio SRF mit Viola Amherd gibt vergleichsweise mehr her für unsere oberflächliche Kurz-Analyse zu Standpunkten der Kandidatinnen in der Digitalpolitik. Wir konzentrieren uns deshalb auf dieses Interview (übertragen aus VS-deutschen Antworten).

Zur Frage “Wo sehen Sie ganz konkret das digitale Potential der Schweiz?” sagt Amherd: “Wenn man von Digitalisierung redet, heisst das für mich nicht, dass man einfach nur neue technische Geräte braucht”. Der Chauffeur, der Lieferscheine statt auf Papier neu auf dem iPad mache, das sei noch nicht Digitalisierung. “Digitalisierung ist, wenn man neue Geschäftsmodelle entwickelt”. Neue Projekte, die etwas ganz anderes bewältigen könnten als bisher, meint Amherd.

Sie führt die Mobilität als Beispiel an: wenn man dereinst selbstfahrende Autos habe, könnten diese besser ausgenutzt werden ohne die Strassen zu verstopfen. Oder wenn man Züge, die Güter transportieren besser ausnutzen könne, “das ist für mich Digitalisierung”. Es sei doch viel einfacher, wenn man bei Bedarf ein Auto bestellen könne. Es werde nicht mehr jeder sein eigenes Auto haben. Das gelte auch für die Berggebiete, die hierin nicht benachteiligt sein würden.

Beim Thema Künstliche Intellligenz könne man “sehr viel machen”. Der Bundesrat habe eine Strategie erarbeitet, die sie “sehr gut” finde, aber aus ihrer Sicht “könnte man da noch mehr machen”. “Vor allem müsste man die Kräfte bündeln”.

“Die Digitalisierung ist ein ganz grosses Zukunftsthema für mich” sagt Amherd. Sie biete Chancen, aber viele Leute hätten auch Angst davor, weil das ein Thema sei, das die gesamte Gesellschaft betreffe. Es würden gewisse Berufe wegfallen, das mache Angst. “Darum muss man die Leute, die in diesen Berufen arbeiten befähigen, dass die auch Schritt halten können, und in dem Prozess mitmachen. So kann man die Angst nehmen.”

Die Schweiz mit ihren Hochschulen oder mit innovativen Unternehmungen, mit gut ausgebildeten Leuten, habe eine gute Chance, vorne mit dabei zu sein.

Zur Frage der Moderatorin, welches Umdenken es an den Schulen brauche, damit die Schulkinder mit den neuen Technologien vertraut würden, antwortete Viola Amherd: “Ich denke, die Schulkinder sind da schon recht weit”. Man müsse relativ früh anfangen, die Kinder zu befähigen, sie zu lehren oder zumindest zu zeigen, was es heisse zu programmieren, um die ganzen Hintergründe zu verstehen. “Die Kinder lernen das spielend”, so Amherd.

Berücksichtigt man, dass es sich um ein mündliches Interview handelte, sind immerhin einige mehr oder weniger konkrete Aussagen zu hören.

Amherds Partei, die CVP, hat auf ihrer Website ein Tag Digitalisierung: Ein paar Artikel geben Hinweise zur Digitalpolitik der Partei.

Beide Kanditatinnen wurden im SRF-Interview nicht befragt zu ihren Positionen in potenziell wichtigen, aber heikleren aktuellen Digitalpolitik-Diskussionen wie beispielsweise Netzneutralität, Urheberrecht, Datenschutzrecht, Fernmeldegesetz, e-Voting, elektronische Identität und weitere. Jedes dieser Beispiele wäre allerdings ein Interview oder eine Radio-Sendung für sich.